Manche Politiker sagen, wer ein wenig angespart hat, soll das erst aufbrauchen, bevor er steuerfinanzierte Sozialleistungen bekommen darf. Wer dies zum Dogma erklärt, darf konsequenterweise aber auch das Kindergeld nur noch Sozialhilfeempfängern auszahlen und muss über die Auszahlungshöhe der inzwischen zu einem großen Teil aus Steuermitteln finanzierten Rente nachdenken.
Um zu erklären, warum aus unserer Sicht das Blindengeld einkommens- und vermögensunabhängig sein muss, wieder ein kleines Beispiel:
Ihr 65. Geburtstag. Nach 45 Jahren gehen Sie in Rente. Ein ganzes Leben haben Sie einen Teil Ihres Gehalts gespart, weil Sie wussten, dass die gesetzliche Rente nicht ausreicht. Haben die Politiker Ihnen ja auch immer gesagt. 12.000 € liegen auf Ihrem Konto. Dann die Diagnose im Rahmen des Routinebesuches bei Ihrem Augenarzt: Altersbedingte Makuladegeneration. Folge: Erst Sehbehinderung, dann Blindheit. Nicht selten im Alter. 70 Prozent der blinden Menschen sind über 65 Jahre alt. Der Haushalt muss umgestellt werden. Sie brauchen Hilfe, auch welche, die etwas kostet. Konkret kostet es Ihre Altersvorsorge. Bis auf 2.600 €. Dann – nachdem Sie auch die Verhältnisse Ihrer Kinder gegenüber dem Sozialamt offen gelegt haben, hilft endlich der Staat. Jetzt sind Sie allerdings bis an Ihr Lebensende Sozialhilfeempfänger und Ihr Erspartes reicht nicht einmal mehr für ein würdiges Begräbnis. Durch die Abschaffung des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes würde Blindheit wieder gleichbedeutend mit Armut sein.
Nehmen wir mal an, das Blindengeld würde nur noch – wie es die Politik anstrebt – in Form der vermögens- und einkommensabhängigen Blindenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch 12 an blinde Menschen gezahlt werden, die weniger als 2600 € besitzen.
Obergrenzen für den Bezug der Blindenhilfe ab 1.1.2005Haushalt | Einkommensgrenze (Ohne Vermögen) | Vermögensgrenze |
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Blinder ledig | 690,00 EUR | 2.600,00 EUR |
Ehepaar beide ledig | 931,00 EUR | 2.854,00 EUR |
Ehepaar, ein Kind, Vater blind | 1.173,00 EUR | 3.112,00 EUR |
Rund 80 bis 90 % der blinden Menschen würden erst einmal keine finanzielle Unterstützung mehr bekommen. „Erst einmal“, weil sie mit der Zeit für die oben dargestellten blindheitsbedingten Kosten ihr Vermögen aufbrauchen müssten, bis sie die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialhilfe erfüllen. Daraus würde folgen: Wer blind ist, ist (bald) auch automatisch arm.
Was sollen blinde Menschen in der Sozialhilfe?
Blinde Menschen auf die Sozialhilfe zu verweisen, entspricht nicht dem Sinn dieser Leistung. Sozialhilfe ist gedacht als eine Hilfe bei vorübergehender Bedürftigkeit. Mit dem Blindengeld sollen die finanziellen Nachteile ausgeglichen werden, die eine dauerhafte, ja lebenslange Behinderung mit sich bringt. Auch wenn es in der heutigen Situation sehr schwer ist, einen Ar-beitsplatz zu finden, haben auch selbst Langzeitarbeitslose, die in die Sozialhilfe abgerutscht sind, die Chance, mit einem neuen Job wieder aus der Sozialhilfe herauszukommen. Der blinde Mensch hat diese Chance nicht. Einmal Sozialhilfeempfänger geworden, bleibt er ein Leben lang abhängig von diesem System.
Sollen blinde Menschen gegenüber anderen Behinderten schlechter gestellt werden?
In Österreich erhält jeder blinde Mensch an Stelle des Blindengeldes das einkommens- und vermögensunabhängige Pflegegeld aus der Pflegeversicherung. Die Notwendigkeit der Begleitung von blinden Menschen, des Vorlesens für blinde Menschen und des Einsatzes von Hilfsmitteln gilt in Deutschland dagegen nicht als Grund für den Bezug von Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Begründung für diese Regelung war, dass es ja speziell für die blindheitsbedingten Mehraufwendungen das einkommens- und vermögensunabhängige Landesblindengeld gibt. Wenn nun aber diese Leistung wegfällt, so wäre dies eine deutliche Schlechterstel-lung der blinden Menschen gegenüber all denjenigen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten.
Die Abschaffung des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes kostet die öffentliche Hand mehr Geld Gegen das Argument einiger Politiker, dass ein einkommens- und vermögensabhängiges Blindengeld der öffentlichen Hand viel Geld sparen würde, sei hier das Ergebnis der Prüfung dieser Frage durch den Landesrechnungshof Niedersachsen aufgeführt: „Das Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales hatte die Notwendigkeit des Landesblindengeldgesetzes untersucht, seine Aufhebung aber letztlich nicht weiter verfolgt, weil die Einsparungen bei der Blindenhilfe gering und der Verwaltungsaufwand für die dann fälligen Einkommens- und Vermögensberechnungen erheblich wären. Diese Annahmen haben sich durch die Feststellungen des LRH im Wesentlichen bestätigt.“ Nicht umsonst wurden die anfangs einkommensabhängigen Leistungen für blinde Menschen schließlich aus Ersparnisgründen in einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen um-gewandelt. Ein weiteres Argument gegen die Vorstellung, durch die Blindengeldstreichung sparen zu können, kommt hinzu: Wie bereits dargestellt, werden anfangs nur 10 - 20 Prozent der blinden Menschen als Sozialhilfeempfänger die dort für Blinde vorgesehene finanzielle Leistung, die Blindenhilfe in Höhe von 585,- €, beziehen. Ebenfalls ausgeführt wurde aber, dass nach und nach sich das Verhältnis umdrehen wird, und fast alle blinden Menschen die Blinden-hilfe beziehen werden. Dass heißt, sie beziehen eine höhere Leistung als vorher. Für die Landesregierungen, die das Blindengeld finanzieren, mögen sich Einspareffekte ergeben. Für die Städte und Gemeinden, die den Anspruch prüfen und die Blindenhilfe auszahlen müssen, ergibt sich dagegen eine sukzessive Mehrbelastung. Zusätzlich verstärkt dürfte dieser Effekt durch folgenden Umstand werden: Bis zur Schaffung der Landesblindengelder haben blinde Menschen im Wesentlichen in Einrichtungen gelebt. Heute teilen dieses Schicksal nur noch 15 bis 20 Prozent der Betroffenen. Das ist umso erstaunlicher als die meisten jungen blinden Menschen mehrfachbehindert und am anderen Ende der Skala beinahe 40 Prozent über 89 Jahre alt sind. Die Abschaffung des Blindengeldes wird den Verbleib vieler blinder Menschen in ihrem familiären Wohnumfeld verkürzen und einen neuen Trend Richtung Einrichtungen in Gang setzen. Für die öffentliche Hand als Ganzes dürfte die Abschaffung des Blindengeldes unterm Strich somit deutliche Mehrkosten verursachen.