§ 15 SGB 11 und die dazu gehörenden Anlagen regeln sehr ins Einzelne gehend die Kriterien und die Punkte-Tabellen zur künftigen Feststellung des individuell vorliegenden Pflegegrades. Die Kriterien sind (jeweils getrennt nach Erwachsenen und Kindern) gegliedert in 6 „Module“:
- Mobilität,
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten,
- Einzelne Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,
- Selbstversorgung,
- Bewältigung krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen,
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.
Beispiel: Modul 1 "Mobilität" enthält in Ziffer 5 das Kriterium „Treppensteigen“ und fragt nach den Ausprägungen: selbständig = 0 Punkte, überwiegend selbständig = 1 Punkt, überwiegend unselbständig = 2 Punkte, unselbständig = 3 Punkte. Die so erhobenen Punktwerte fließen sodann in eine genau vorgeschriebene Endberechnung ein, an deren Ende die Zuweisung zu einem Pflegegrad steht.
Das Berechnungsverfahren ist bewusst so gestaltet, dass die Beeinträchtigungen durch psychische Störungen deutlich höher eingestuft werden als in der Vergangenheit.
Wird es im Ergebnis auch zu Herabstufungen kommen?
Dies wurde im Anschluss an die wissenschaftlichen Vorstudien kritisch hinterfragt (siehe Mitteilung der Rechtsabteilung Nr. 3/2015). Eine klare Antwort darauf gibt es aber nicht. Diesbezügliche Korrekturen durch den Gesetzgeber werden aber auch kaum zu erwarten sein. Eine größere Rolle werden hingegen die vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen neu zu beschließenden Begutachtungsrichtlinien (BRI) spielen. Darin geht es um Einzelfragen zur praktischen Durchführung der Begutachtung, insbesondere aber auch zur Auslegung der Kriterien. Sie dienen nach § 17 SGB 11 dem Zweck, dass die Einstufungen in die neuen Pflegegrade überall einheitlich gehandhabt werden. Ein Entwurf der neuen BRI (vom 17.12.2015) liegt bereits vor. Wie nicht anders zu erwarten, wird darin an zwei Prinzipien aus den alten BRI festgehalten: erstens, dass zu den Ursachen der Pflegebedürftigkeit (§ 14 Abs. 1 SGB 11 spricht von „gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen“) auch Sinnesbehinderungen zählen – sie sind deshalb in der Anamnese zu dokumentieren - , und zweitens, dass aus dem Grad der Sehbehinderung nicht auf den Grad der Pflegebedürftigkeit geschlossen werden kann. Es kommt vielmehr allein auf die konkreten Einschränkungen der Selbständigkeit und auf den Hilfebedarf an.
Neu in den BRI werden die Aussagen zu den „weiteren versorgungsrelevanten Informationen“ sein. Es geht dabei um die – ohne Relevanz für die Einstufung – im Einzelfall konkret festzustellenden Beeinträchtigungen in den Bereichen „außerhäusliche Aktivitäten“ und „Haushaltsführung“ (§ 18 Abs. 5a SGB 11). Deren Kenntnis ist „für eine umfassende Beratung unerlässlich und für das Erstellen eines individuellen Versorgungsplans und für die Wahl sachgemäßer Hilfen im Haushalt nützlich“. Ferner geht es um Einzelheiten zu der nach § 18 Abs. 6 SGB 11 vorzunehmende Prüfung, welche Maßnahmen der Prävention und der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind. Für die Erbringung dieser Leistungen sind die Pflegekassen nicht zuständig, die Leistungen können aber nach § 32 SGB 11 vorläufig erbracht werden. Sodann geht es auch noch um die nach § 18 Abs. 6a SGB 11 zu gebenden konkreten Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegemittelversorgung. Für viele dieser „weiteren versorgungsrelevanten Informationen“ nennt der Entwurf der neuen BRI konkrete Beispiele, darunter auch mehrere Situationen, bei denen man, meines Erachtens, davon ausgehen sollte, dass sie auch durch Blindheit oder Sehbehinderung ausgelöst werden könnten. Die Schattenseite: Trotz all dieser gründlichen Gedanken bleibt unklar, auf welche Maßnahmen und gegen wen man überhaupt einen Rechtsanspruch hat.