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Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen - neue Regelungen durch das Pflegestärkungsgesetz zwei

Allgemeine Informationen zum zweiten Pflegestärkungsgesetz

Durch das zweite Pflegestärkungsgesetz wurden mit Wirkung seit 1. Januar 2017 in der gesetzlichen Pflegeversicherung gem. § 15 SGB 11 die Pflegestufen auf Pflegegrade umgestellt. Das macht es erforderlich, dass die Landesblindengeldgesetze geändert werden.

In Baden-Württemberg ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand 01.01.2021) das Gesetz über die Landesblindenhilfe in Baden-Württemberg (LBHG) noch nicht an die Anforderungen des Pflegestärkungsgesetz 2 angepasst. Sobald eine Anpassung erfolgt ist, informieren wir Sie an dieser Stelle über die einzelnen Auswirkungen.

Hintergrundinformation zum Pflegestärkungsgesetz

Es gilt ein neuer Begriff der „Pflegebedürftigkeit“. Bei diesem wird individuell nicht mehr auf den zeitlichen Umfang der geleisteten Pflege abgestellt, sondern auf die von einem Gutachter bei der betreffenden Person festgestellten und bewerteten Einschränkungen der Selbständigkeit.

Welche Neuerungen sind zum 01.01.2017 in Kraft getreten?

Umstellung auf die Pflegegrade

§ 140 SGB 11 regelt eine zum 1.1.2017 erfolgte automatische Umstellung (keine Antragstellung, keine Begutachtung) von Pflegestufe 1 auf den Pflegegrad 2, von Pflegestufe 2 auf Pflegegrad 3, und von Pflegestufe 3 auf Pflegegrad 4.

Personen mit Pflegestufe 3, die bereits Ansprüche auf Leistungen nach § 36 Abs. 4 und § 43 Abs. 3 SGB 11 haben (das heißt so viel wie vollstationäre Pflege) erhalten Pflegegrad 5.

Personen, bei denen bisher nach § 45a SGB 11 eine „erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz“ anerkannt wurde, kommen in Pflegegrad 2, wenn sie zuvor noch nicht in Pflegestufe 1 eingruppiert waren, sie kommen in Pflegegrad 3, wenn sie schon Pflegestufe 1 erreicht hatten, und in Pflegegrad 4, wenn sie schon Pflegestufe 2 erreicht hatten. Der künftige Pflegegrad 1 kommt bei diesen Umstellungsregelungen nicht vor. Er ist für die Fälle vorgesehen, in denen ein geringerer, aber nichts desto weniger zu berücksichtigender Pflegebedarf vorliegt. Für diese Personen sind bestimmte, in § 28a SGB 11 geregelte Sachleistungen vorgesehen, aber kein Pflegegeld.

Begutachtungsverfahren

§ 15 SGB 11 und die dazu gehörenden Anlagen regeln sehr ins Einzelne gehend die Kriterien und die Punkte-Tabellen zur künftigen Feststellung des individuell vorliegenden Pflegegrades. Die Kriterien sind (jeweils getrennt nach Erwachsenen und Kindern) gegliedert in 6 „Module“:

  1. Mobilität,
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten,
  3. Einzelne Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,
  4. Selbstversorgung,
  5. Bewältigung krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen,
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.


Beispiel: Modul 1 "Mobilität" enthält in Ziffer 5 das Kriterium „Treppensteigen“ und fragt nach den Ausprägungen: selbständig = 0 Punkte, überwiegend selbständig = 1 Punkt, überwiegend unselbständig = 2 Punkte, unselbständig = 3 Punkte. Die so erhobenen Punktwerte fließen sodann in eine genau vorgeschriebene Endberechnung ein, an deren Ende die Zuweisung zu einem Pflegegrad steht.

Das Berechnungsverfahren ist bewusst so gestaltet, dass die Beeinträchtigungen durch psychische Störungen deutlich höher eingestuft werden als in der Vergangenheit.

Wird es im Ergebnis auch zu Herabstufungen kommen?

Dies wurde im Anschluss an die wissenschaftlichen Vorstudien kritisch hinterfragt (siehe Mitteilung der Rechtsabteilung Nr. 3/2015). Eine klare Antwort darauf gibt es aber nicht. Diesbezügliche Korrekturen durch den Gesetzgeber werden aber auch kaum zu erwarten sein. Eine größere Rolle werden hingegen die vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen neu zu beschließenden Begutachtungsrichtlinien (BRI) spielen. Darin geht es um Einzelfragen zur praktischen Durchführung der Begutachtung, insbesondere aber auch zur Auslegung der Kriterien. Sie dienen nach § 17 SGB 11 dem Zweck, dass die Einstufungen in die neuen Pflegegrade überall einheitlich gehandhabt werden. Ein Entwurf der neuen BRI (vom 17.12.2015) liegt bereits vor. Wie nicht anders zu erwarten, wird darin an zwei Prinzipien aus den alten BRI festgehalten: erstens, dass zu den Ursachen der Pflegebedürftigkeit (§ 14 Abs. 1 SGB 11 spricht von „gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen“) auch Sinnesbehinderungen zählen – sie sind deshalb in der Anamnese zu dokumentieren - , und zweitens, dass aus dem Grad der Sehbehinderung nicht auf den Grad der Pflegebedürftigkeit geschlossen werden kann. Es kommt vielmehr allein auf die konkreten Einschränkungen der Selbständigkeit und auf den Hilfebedarf an.
 

Neu in den BRI werden die Aussagen zu den „weiteren versorgungsrelevanten Informationen“ sein. Es geht dabei um die – ohne Relevanz für die Einstufung – im Einzelfall konkret festzustellenden Beeinträchtigungen in den Bereichen „außerhäusliche Aktivitäten“ und „Haushaltsführung“ (§ 18 Abs. 5a SGB 11). Deren Kenntnis ist „für eine umfassende Beratung unerlässlich und für das Erstellen eines individuellen Versorgungsplans und für die Wahl sachgemäßer Hilfen im Haushalt nützlich“. Ferner geht es um Einzelheiten zu der nach § 18 Abs. 6 SGB 11 vorzunehmende Prüfung, welche Maßnahmen der Prävention und der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind. Für die Erbringung dieser Leistungen sind die Pflegekassen nicht zuständig, die Leistungen können aber nach § 32 SGB 11 vorläufig erbracht werden. Sodann geht es auch noch um die nach § 18 Abs. 6a SGB 11 zu gebenden konkreten Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegemittelversorgung. Für viele dieser „weiteren versorgungsrelevanten Informationen“ nennt der Entwurf der neuen BRI konkrete Beispiele, darunter auch mehrere Situationen, bei denen man, meines Erachtens, davon ausgehen sollte, dass sie auch durch Blindheit oder Sehbehinderung ausgelöst werden könnten. Die Schattenseite: Trotz all dieser gründlichen Gedanken bleibt unklar, auf welche Maßnahmen und gegen wen man überhaupt einen Rechtsanspruch hat.

Weitere Neuerungen

Die Umstellung von 3 Pflegestufen auf 5 Pflegegrade verlangt eine Neuregelung bei allen Leistungsansprüchen, die bisher von einer Pflegestufe abhängig waren. Das betrifft diverse Deckelungsbeträge bei den Sachleistungen, aber auch die Leistungsbeträge beim Pflegegeld nach § 37 SGB 11. Da Personen mit Pflegegrad 1 kein Pflegegeld erhalten, ergeben sich jetzt 4 Stufen: bei Pflegegrad 2 gibt es ein Pflegegeld von 316 Euro, bei den Pflegegraden 3, 4 und 5 dann 545, 728 und 901 Euro (zum Vergleich der gegenwärtige Stand bei Pflegestufe 1: 244 Euro, bei Stufen 2 und 3: 458 und 728 Euro.) Das sind dann zum Teil beträchtliche Erhöhungen. Nur bei den Personen, die bisher in Pflegestufe 3 waren, aber nicht in Pflegegrad 5 aufgenommen werden, bleibt es beim alten Betrag. Der Gesetzgeber betrachtet die seit 1.1.2017 wirksam gewordenen Erhöhungen als Teil einer vorweggenommenen Dynamisierung, wie sie § 30 SGB 11 im drei-Jahres-Rhythmus vorsieht, nämlich nicht als  automatische Erhöhung, sondern als Prüfungsauftrag an die Regierung. Dabei war bisher geregelt, dass die nächsten Prüfungen 2018 und 2021 stattfinden sollten. § 30 SGB 11 wurde nun dahingehend geändert, dass die (der Pflegereform folgende) Prüfung nicht 2021, sondern schon 2020 stattfinden soll.

Weitere Verbesserungen

Der in jeder vollstationären Pflegeeinrichtung zu zahlende Eigenanteil wird vereinheitlicht. Bisher war er gestaffelt und wuchs bei zunehmender Pflegebedürftigkeit. Die mit der Staffelung verbundenen Mehrbelastungen entfallen. Zudem erhalten alle Pflegebedürftigen einen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsangebote in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen.

Die soziale Absicherung von pflegenden Angehörigen wird verbessert. Dabei kommt es darauf an, in welchem Umfang die Pflege durch Pflegepersonen erbracht wird und in welchen Pflegegrad der Pflegebedürftige eingestuft ist. Auch die soziale Sicherung der Pflegepersonen im Bereich der Arbeitslosen- und der Unfallversicherung wird verbessert.

Bereits seit Anfang 2016 erhalten pflegende Angehörige einen eigenen Anspruch auf Pflegeberatung.

Wegen der Erhöhung der Leistungen wurden zum 1.1.2017 die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte erhöht.